Stellungnahme des Leipziger Strafverteidiger e.V. zu den geplanten Neuregelungen im sächsischen Polizeirecht
Der Leipziger Strafverteidiger e.V. gibt zu den geplanten Neuregelungen folgende Stellungnahme ab: Download der Stellungnahme (PDF)
Stellungnahme
Am 03.09.2014 veröffentlichte der Kreuzer – Das Leipzig Magazin online unter http://kreuzer-leipzig.de/2014/09/03/entschlossene-repression unter der Überschrift „Entschlossene Repression“ einen Artikel, der das Auftauchen brisanter Dokumente des Landesverbandes Sachsen der Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Zuge eines Datenlecks thematisiert. Es werden interne Dokumente des Landesverbandes Sachsen der AfD zitiert, deren Echtheit mittlerweile durch die AfD bestätigt wurde (http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_70875698/afd-bestaetigt-echtheit-gehackter-positionspapiere.html).
In den veröffentlichten internen Dokumenten sind unter anderem nachfolgende konkrete, das deutsche Strafrecht betreffende Forderungen zu lesen:
(Quelle: http://kreuzer-leipzig.de/2014/09/03/entschlossene-repression; http://www.kraftfuttermischwerk.de/blogg/angebliche-interne-positionspapiere-der-afd-sachsen; https://twitter.com/AnonAustria/)
Der Leipziger Strafverteidigerverein e.V. nimmt die vorbenannten, das Strafrecht betreffenden Positionen der AfD zum Anlass, hierzu wie folgt Stellung zu nehmen:
Vorbenannte Forderungen in den Positionspapieren stellen einen massiven Angriff auf den Rechtsstaat und die grundgesetzlich garantierten Rechte jedes Bürgers dar. Sie stehen im eklatanten Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Strafrechts, denn sie verlangen im Ergebnis eine Abkehr von der grundgesetzlich verbrieften Unschuldsvermutung sowie dem im deutschen Strafrecht vorherrschenden Schuldprinzip.
Die Forderung nach einer stärkeren, insbesondere verdachtsunabhängigen und präventiven Überwachung lässt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) nur noch als reine Makulatur erscheinen und stellt quasi dessen Abschaffung dar.
Die Forderung nach „Harter Bestrafung“ ist ein Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit. Jedes deutsche Strafgericht hat im Rahmen einer Verurteilung eine schuldangemessene Strafe für die begangene Verfehlung zu finden. Populistische Forderungen, wie formuliert, haben hierbei außen vor zu bleiben.
Flüchtlinge sollen nach den veröffentlichten Positionen diffamiert und das ohnehin schwach ausgeprägte Grundrecht auf Asyl weiter ausgehöhlt werden. Ein „Asylverfahren mit einspruchslosem Ergebnis“, wie gefordert, ist unvereinbar mit den Prinzipien eines Rechtsstaates. Grundprinzip des Rechtsstaates ist, dass alles staatliche Handeln, das in die Rechte eines Einzelnen eingreift, auch dem Rechtsschutz unterliegt, also durch ein Gericht überprüft werden kann, ob die getroffene Entscheidung dem Recht entspricht.
Die Erfassung eines statistischen Migrationshintergrundes sowie die Einführung des Kriteriums „deutschenfeindliche Straftat“ in einem strafrechtlichen Zusammenhang stellt eine nicht begründbare Stigmatisierung, Kriminalisierung und Diskriminierung der Betroffenen dar, die letztlich auf eine unzulässige Vorverurteilung hinausläuft. Ebenso die weiteren Forderungen, namentlich insbesondere, dass Datenschutz vor „Täterschutz“ und „Opfer- und Zeugenschutz“ vor „Täterschutz“ gehen soll, erschüttern die Grundfesten des deutschen Strafrechts. Auch Beschuldigte in Ermittlungsverfahren haben ein Recht auf Datenschutz und Achtung ihrer Menschenwürde, sie dürfen nicht als Subjekt der Strafverfolgung angesehen und rechtlos gestellt werden.
Eine wesentliche Errungenschaft der Demokratie stellt die in Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und in Art. 6 Abs. 2 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie die als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz verbriefte Unschuldsvermutung dar, nämlich dass jeder einer Straftat Verdächtigte/Beschuldigte während der gesamten Dauer des Strafverfahrens – also bis zum rechtkräftigen Abschluss dessen – als unschuldig zu behandeln ist, bis dessen Schuld in einem rechtstaatlich geführten Verfahren durch unabhängige Gerichte festgestellt wurde.
Die Forderung nach dem Vorrang von „Opfer- und Zeugenrechten“ steht zudem im eklatanten Widerspruch zum geltenden Strafrechtssystem. Nach wie vor ist Ziel jedes Strafprozesses eine tat- und schuldangemessene Strafe (§ 46 Strafgesetzbuch – StGB) zu finden. Wie diese im konkreten Fall auszugestalten ist, wird in einem rechtsstaatlichen Verfahren, welches den Tatvorwurf nach den Regeln der Strafprozessordnung (StPO) zu untersuchen und unter Beweis zu stellen hat, ermittelt. Geschädigte sind bereits mit umfangreichen Verfahrensrechten ausgestattet, Zeugen unterliegen der Fürsorgepflicht des Gerichtes. Kernpunkt des Strafverfahrens ist und bleibt die individuelle Schuldfeststellung. Für einen Vorrang der Interessen anderer Verfahrensbeteiligter ist damit kein Raum.
Der Leipziger Strafverteidigerverein e.V. tritt dem Ansinnen und Bestrebungen der durch die veröffentlichten Positionen vermittelten Forderungen auf Aushöhlung der Grundrechte und der Einschränkung der Rechte der Beschuldigten entschieden entgegen.
Leipzig, im September 2014
Der Vorstand
Leipziger Strafverteidiger e.V.
www.leipziger-strafverteidiger.de
Download der Stellungnahme als PDF: Stellungnahme_08_09_14.
Stellungnahme zur geplanten Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren
Artikel 1 und 6 des Entwurfes eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren (Bundestags-Drucksache 17/1224) sehen vielfältige Änderungen des Strafprozessrechts vor.
Der Vorstand des Leipziger Strafverteidiger e.V. nimmt hierzu wie folgt Stellung:
Der Einsatz von Videokonferenztechnik im Strafverfahren ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird strikt darauf zu achten sein, dass Verteidigungsrechte nicht beschnitten werden. Wir fordern daher, dass Videokonferenztechnik nur dann eingesetzt werden darf, wenn alle Beteiligten, also auch der jeweilige Beschuldigte, damit einverstanden sind. Soweit das Gesetz bisher jedoch eine persönliche Anhörung oder Einvernahme zwingend vorschreibt, sollte es auch nach neuem Recht hierbei bleiben, da es ansonsten unter dem Deckmantel der technischen Modernisierung zu einem Abbau grundrechtlich geschützter Positionen käme.
Der Einsatz der Videokonferenztechnik sollte überdies nur dann zulässig sein, wenn der Beschuldigte vor seiner Einverständniserklärung von einem Strafverteidiger beraten worden ist.
In Bezug auf Verfahren, in denen der Einsatz von Dolmetschern erforderlich ist, sehen wir den Einsatz von Videokonferenztechnik skeptisch. In klassischen Verfahrenssituationen übersetzt der Dolmetscher bisher regelmäßig auch die der Geheimhaltung unterliegenden Gespräche zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger. Dies ist nicht, jedenfalls nicht unter zweifelsfreier Wahrung der Geheimhaltung, möglich, wenn sich der Dolmetscher etwa bei dem per Videokonferenz zu vernehmenden Zeugen, nicht aber bei dem Beschuldigen und dem Verteidiger befindet. Auf keinen Fall darf eine solche Situation dazu führen, dass die Mehrkosten, die durch die Erforderlichkeit eines gesonderten Verteidigungsdolmetschers entstehen, auf den Strafverteidiger abgewälzt werden.
Der Vorstand des Leipziger Strafverteidiger e.V.